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Wenn Kinder im Restaurant stören - Viele verzichten auf Nachwuchs

Deutschland ein kinderfeindliches Land?

 

Deutsche bemängeln kinderfeindliches Klima


Kinder gelten als die schönste Sache der Welt - trotzdem gibt es in Deutschland immer weniger. Für viele Deutsche ist das Klima in der Gesellschaft so kinderfeindlich, dass sie trotz Kinderwunsch auf Nachwuchs verzichten. Zu diesem Ergebnis kommt eine in Berlin vorgestellte Studie im Auftrag der Zeitschrift "Eltern". Danach wünschen sich drei Viertel der Kinderlosen zwischen 18 und 49 Jahren ein kinderfreundlicheres Klima.


Müssen Kinder draußen bleiben?
Unter den befragten Müttern und Vätern gab rund jeder zweite an, Kinder würden in Geschäften oder Restaurants als störend empfunden; 37 Prozent äußerten, es sei schwieriger, mit Kind eine Mietwohnung zu finden als ohne Nachwuchs. "Deutschland muss so kinderfeindlich sein, dass dies sogar den Kinderlosen auffällt", kommentierte Chefredakteurin, Marie-Luise Lewicki, die Ergebnisse.

Angst vor Jobverlust
Ein weiterer Grund, keine Kinder zu bekommen, ist für 44 Prozent der Befragten ein fehlender Partner. Angst ihren Arbeitsplatz zu verlieren haben 39 Prozent. 34 Prozent der jungen Frauen und Männer wollen zudem ihre persönliche Unabhängigkeit nicht verlieren. Fast ein Drittel der Befragten fürchtet zudem die höheren Lebenskosten.

"Nicht sexy, Kinder zu haben"
Auch in manchen Unternehmen hätten es Eltern schwer. Viele Chefs reagierten mit Unverständnis, wenn es um Überstunden gehe. Für 42 Prozent der Mütter sind Kinder schlichtweg "Karrierehemmer". Vor allem Akademikerinnen fühlen sich durch Kinder oft im Job benachteiligt. "Es ist in Deutschland nicht sexy, Kinder zu haben", sagt Lewicki.

Mutter mit knapp 30
Eine wichtige Ursache für die geringe Geburtenrate sei auch das steigende Durchschnittsalter der Mütter, sagte Lewicki. Wurden Frauen 1991 noch mit 27,1 Jahren Mutter, lag das Durchschnittsalter laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2002 bereits bei 29,3 Jahren. Laut Studie finden sich über die Hälfte der Eltern zu alt, um weitere Kinder zu bekommen.

Jede Generation ist ein Drittel kleiner
Die Folge: Die durchschnittliche Kinderzahl sinkt seit Jahren dramatisch. "Heute liegt sie auf einem Niveau, bei dem jede neue Generation rund ein Drittel kleiner ist als die letzte. Das ist besonders deutlich seit 1965", sagt der Volkswirt Martin Werding vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. In der Tat werden in Deutschland so wenig Kinder geboren, wie kaum woanders auf der Welt. 82 Millionen Menschen leben derzeit in der Bundesrepublik, nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes werden es in 50 Jahren nur noch 65 bis 70 sein - Einwanderer eingerechnet.

"Image der Familie aufpolieren"
"Die Gesellschaft muss das Image der Familien aufpolieren und das Klima für Kinder verbessern", fordert Lewicki. Obwohl sich die Zahl der Geburten in Deutschland in den vergangenen 40 Jahren fast halbiert habe, sei die Institution Familie dennoch für viele Eltern von großer Bedeutung. Das belege die "Eltern"-Familienanalyse 2005: danach steht die Familie für 89 Prozent der Eltern von Kindern unter 14 Jahren an erster Stelle, nur für sechs Prozent ist es der Beruf.

"Familien entlasten"
Korrekturen im Steuerrecht und ein Umbau des Rentensystems wären nach Einschätzung von Experten erforderlich, um Familien zu entlasten, sagte Lewicki. Ein Ansatz sei die volle steuerliche Anerkennung der Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten. Ein weiterer Vorschlag sei das Familiensplitting nach französischem Vorbild: Dort werde das zu versteuernde Einkommen rechnerisch gleichmäßig auf alle Familienmitglieder - und nicht wie in Deutschland üblich nur auf die Ehegatten - verteilt.

Familienministerium relativiert
Das Bundesfamilienministerium versuchte die Umfrageresultate zu relativieren. Der Begriff Kinderfeindlichkeit sei "zu harsch", sagte der Abteilungsleiter Familie, Malte Ristau. Es gebe aber eine "Entwöhnung und Distanz" von der Familie. Abhilfe sei nicht unbedingt mit mehr Geld aus der öffentlichen Hand zu schaffen. Eine "besondere Verantwortung" komme auch Unternehmen zu, die etwa für flexiblere Arbeitszeiten oder Betreuungsmöglichkeit sorgen müssten, sagte Ristau.

Kinder in Zahlen

Lassen sich Kinder, Kindsein und Kindheit in Deutschland mit Zahlen fassen? Sicher nicht. Zahlen können aber geeignet sein, sich den Bedingungen für die Kleinsten und oft am wenigsten Geschützten in diesem Land zumindest anzunähern:

 

Geburtenrate

Deutschlands Platz auf der Liste der weltweiten Geburtenrate liegt bei 180 von 191 erfassten Ländern. Um die Bevölkerung stabil zu halten, müsste jede Frau in Deutschland im Schnitt 2,1 Kinder zur Welt bringen. Tatsächlich sind es derzeit nur 1,35. Die Zuwanderung nicht berücksichtigt, schrumpft Deutschland jährlich um eine Stadt wie Erfurt oder Lübeck. 2003 wurden 715.000 Kinder lebend geboren - so wenig wie noch nie seit 1949. 1964 waren es in Ost- und Westdeutschland doppelt so viele.

Fernsehen

Kinder zwischen drei und 13 Jahren hocken täglich durchschnittlich 100 Minuten vor dem Fernseher. Sportliche Kinder ernähren sich zwar gesünder und sind seltener dick, sehen aber keineswegs weniger fern.

Computer

18 Prozent der Jungen und 13 Prozent der Mädchen zwischen sechs und 13 Jahren haben einen eigenen Computer. Jeweils rund ein Drittel besitzt Fernseher und Stereoanlage. Die Internetkompetenz in dieser Altersgruppe nahm in den vergangenen fünf Jahren um das Fünffache zu.

Handy

55 Prozent der Kinder zwischen drei und 13 Jahren haben ein Handy. 1998 waren es noch acht Prozent.

Übergewicht


Übergewicht

In Deutschland sind 15 Prozent der Kinder übergewichtig. Die Gründe sind vor allem Bewegungsmangel, Medienkonsum und falsche Ernährung. Der freie Bewegungsraum in Städten hat rapide abgenommen.

Armut


Armut

Nach Maßstäben der EU gelten drei Millionen Kinder in Deutschland als arm. Die Zahl der Kinder, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, liegt bei 1,1 Millionen.

 

Geld

Sechs- bis 13-jährige Kinder haben im Durchschnitt jährlich 1000 Euro zur Verfügung - das sind 20 Prozent mehr als noch 2002. 60 Prozent der Ausgaben gehen dabei für Süßigkeiten drauf. Für Comics und Eis geben Kinder 36 Prozent ihres Geldes aus, den selben Prozentsatz verschlingt das Handy. Das Taschengeld liegt im Durchschnitt bei 20 Euro im Monat.

Drogen

In einem unmittelbaren Suchtumfeld leben zwei Millionen Kinder. Darunter sind schätzungsweise 40.000 Kinder, deren Eltern von harten Drogen abhängig sind.

 

Rauchen

Sieben Prozent der zwölf- bis 13-Jährigen rauchen. Im Alter von 14 und 15 Jahren sind dies schon 28 Prozent. Das durchschnittliche Einstiegsalter liegt bei 13,7 Jahren.

Fremdsprachen


Fremdsprachen

Laut "Pisa"-Studie sind Kinder vom 7. Lebensmonat bis zum 7. Lebensjahr am sensibelsten für das Lernen einer Fremdsprache - in abgeschwächter Form bis zum 10. Lebensjahr. Dagegen erhielten 2001 600.000 Schüler Nachhilfeunterricht, fast doppelt so viele wie im Jahr 1995. Unter den am stärksten nachgefragten Fächern war dabei Englisch.

 

Drei Millionen Kinder in Deutschland sind arm


Kiara weiß genau, was ein Brot oder ein halbes Pfund Butter kosten. Sie ist zwar erst zehn. Doch beim Einkauf macht ihr niemand etwas vor. Während sich der Kosmos anderer Mädchen ihres Alters über das neueste Handy oder den Reitunterricht erstreckt, forstet sie regelmäßig die Sonderangebote der Discount-Ketten durch. Gekauft wird, was billig ist und satt macht, lautet die oberste Prämisse - notgedrungen. Kiara, ihre drei Geschwister und ihre Eltern sind arm - wie inzwischen die Mehrheit der Berliner Familien dieser Größe. Dem Armutsbericht der Stadt von 2002 zufolge sind über 60 Prozent aller Familien mit vier oder mehr Kindern arm.

 

"Unheimliches Stigma"
Natürlich heißt Kiara anders. Den richtigen Namen des Mädchens würde Sabine Walther, die Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes in Berlin, niemals verraten. Zu groß ist die Scham der Kinder. "Arme Kinder wollen nicht als arm bewertet werden", sagt sie. Armut sei ein "unheimliches Stigma". Weit verbreitet ist sie dennoch. Fast ein Viertel der 570.000 Berliner Kinder unter 18 Jahren gilt als arm. Bei den unter Dreijährigen sind es sogar 31,8 Prozent. Bundesweit sind bereits rund drei Millionen der 14,9 Millionen Kinder arm, etwa eine Millionen sind auf Sozialhilfe angewiesen.

 

"Hartz IV": Kinder besonders betroffen
Und es werden mehr. Seit Monaten warnen Paritätischer Wohlfahrtsverband und Kinderschutzbund vor den Folgen der Fusion von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Allein das Arbeitslosengeld II lässt laut Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers Anfang 2005 eine halbe Million Kinder in die Sozialhilfe abrutschen, weil deren arbeitslose Eltern dann mit bis zu einem Drittel weniger Geld auskommen müssten.

 

Mehr Park- als Kindergartenplätze
Bundespräsident Horst Köhler gab sich bei seiner Antrittsrede unmissverständlich: "Wir müssen zu einem Land werden, in dem wir nicht zulassen, dass Kinder verwahrlosen." Johannes Rau betonte schon vor Jahren und mehrfach, es sei ein Skandal, "dass Kinder in Deutschland das größte Armutsrisiko sind". Gleichwohl hat sich bisher nicht viel geändert. Das Kinderhilfswerk Unicef konstatierte bereits resignierend, in den meisten deutschen Städten gebe es mehr Autos und Parkplätze als Kinder und Hortplätze.

Wer als arm gilt
Doch was bedeutet arm? Die Definition ist klar: Arm ist, wer weniger als die Hälfte des so genannten durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens zur Verfügung hat. In Berlin waren dies 2002 exakt 608 Euro pro Monat. Der Regelsatz der Sozialhilfe liegt in der Hauptstadt seit Anfang des Monats bei 297 Euro im Monat, Kinder erhalten je nach Alter zwischen 149 und 267 Euro. Das Kindergeld wird mit Ausnahme von 20 Euro verrechnet.

Hungrig in der Schule
"Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht", heißt es im Bundessozialhilfegesetz. Wie das in der Lebenswelt der Kinder aussieht? Dass Schulausflüge und Besuche von Geburtstagsfeiern der Freunde mangels Geschenk unmöglich sind, gehört noch zu den harmloseren Beispielen in Walthers Aufzählung. Es komme auch vor, dass Kinder im November mit Plastiklatschen auf die Straße geschickt würden oder hungrig in die Schule kämen.

Bis zur Selbstaufgabe
Walther macht den Eltern keine Vorwürfe. Die meisten versuchten bis zur Selbstaufgabe, ihren Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Dennoch sieht sie die Gefahr, dass es genau dadurch noch schlimmer werden kann. So manche durch Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Überschuldung ohnehin schon gestresste Eltern verzweifelten ob der Aussichtslosigkeit darüber so sehr, dass sie irgendwann die Kontrolle verlören. "Es kann dann passieren, dass Kinder nicht nur arm sind, sondern auch misshandelt werden." Sowohl physisch als auch psychisch.

Ein Drittel ohne Schulabschluss
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus armen Verhältnissen den Realschulabschluss schafft, ist laut Kinderschutzbund um 19 Prozent geringer als bei Kindern aus besseren Verhältnissen. Beim Abitur liegen die Chancen sogar 52 Prozent niedriger. Rund ein Drittel der armen Jugendlichen hat überhaupt keinen Abschluss.

Teufelskreis Armut
Die Folgen seien prekär. Kein Abschluss heißt keine Arbeit und keine Arbeit bedeutet weiterhin Armut. Ohne grundlegende Änderungen beim Kindergeld, dem Zugang zu Hort- und Kindergartenplätzen und der Schulausbildung sieht Walther deshalb schwarz: "Die Perspektiven sind bedrohlich", sagt sie.

 

Arm durch Hartz IV?


Immer mehr Kinder leben von Sozialhilfe

Der Deutsche Kinderschutzbund hat vor einer deutlichen Zunahme der Kinderarmut gewarnt. Ursache sei die Arbeitsmarktreform Hartz IV, sagte Verbandspräsident Heinz Hilgers. Die Regierung hingegen versichert, mit der Reform könne die Kinderarmut sogar noch besser bekämpft werden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden immer mehr Kinder und Jugendliche zu Sozialhilfeempfängern.

 

"Alle Bemühungen zunichte gemacht"
Er rechne mit bis zu 350.000 zusätzlichen Kindern in der Sozialhilfe, sagte Hilgers am Dienstag im Deutschland-Radio. Mit der Reform würden alle Bemühungen, Kinderarmut zu bekämpfen, zunichte gemacht. Sie sei eine "Kastastrophe für Kinder". Positiv bewertete Hilgers den geplanten Kinderzuschlag von Familienministerin Renate Schmidt: Dieser sei immerhin für rund 150.000 Kinder ein Ausweg. Auf Dauer könne aber auch der die Entwicklung nicht aufhalten. Hilgers räumt allerdings ein, dass sich die Lage für die eine Million Kinder, die bisher von Sozialhilfe lebten, mit der Hartz-Reform verbessere. "Sie bleiben aber arm."

Immer mehr Kinder betroffen
Dabei steigt die Zahl der minderjährigen Sozialhilfeempfänger auch ohne die Hartz-Reform schon an: Wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte, sei die Zahl der unter 18-Jährigen, die auf die staatliche Unterstützung angewiesen waren, im Jahr 2003 auf 1,08 Millionen gestiegen. Dies entspreche einem Anstieg von 6,2 Prozent gegenüber 2002 und einer Quote von 7,2 Prozent.

Kinderzuschlag ab 2005

Die Regierung hingegen kontert: Hilgers' Vorwürfe seien "falsch und führen zu einer unverantwortlichen Verunsicherung der Betroffenen". Die Zahlen verdeutlichten die Bedeutung des Kinderzuschlags, erklärte Ministerin Schmidt. Der Zuschlag von bis zu 140 Euro monatlich - er tritt mit der Hartz-Reform in Kraft - soll ab 2005 an gering verdienende Eltern gezahlt werden, die mit ihrem Einkommen zwar ihren eigenen Unterhalt, nicht aber den ihrer Kinder bestreiten können. Ohne den Zuschlag wären die Familien auf das Arbeitslosengeld II angewiesen. Mit dem Zuschlag müssten sie das "ALG II" hingegen nicht in Anspruch nehmen, erklärte Schmidt. Betroffen von der Regelung seien rund 150.000 Familien.

Bedarf des Kindes gedeckt
Zusammen mit dem Kindergeld von bis zu 154 Euro und möglicherweise Wohngeld könne der durchschnittliche monatliche Bedarf eines Kindes gedeckt werden, rechnete die Ministerin vor. Eigenes Einkommen, Vermögen des Kindes und Unterhaltsleistungen würden allerdings gegengerechnet. Der Zuschlag, der ab 2005 bezahlt wird, muss bei der Familienkasse schriftlich beantragt werden und wird für maximal 36 Monate bezahlt.

Pauschale Zuschüsse im ALG II
Wer 2005 allerdings schon ins Arbeitslosengeld II rutscht, für den sieht die Hartz-Reform pauschale Zuschüsse für Kinder vor: Sie betragen bei Kindern bis 14 Jahren im Westen 207 Euro und in den neuen Ländern 199 Euro. Bei Kindern zwischen 15 und 18 Jahren sind es 276 und 265 Euro. Der Zuschuss muss - abhängig vom Einzelfall - nach drei bis neun Monaten neu beantragt werden. Für die Vermögensanrechnung gelten Freibeträge: Jugendliche unter 15 Jahren dürfen 750 Euro auf der hohen Kante haben, über 15-Jährige 4850 Euro.

Keine neue Regelung
Die Regelung ist im Grunde nicht neu: Auch nach der geltenden Sozialgesetzgebung können Kindersparbücher bei der Prüfung der Bedürftigkeit herangezogen werden. Da die Sparguthaben von Kindern im Durchschnitt deutlich unter den Freigrenzen liegen, dürften auch in Zukunft die wenigsten Kinder von Langzeitarbeitslosen betroffen sein, schätzt die Bundesagentur für Arbeit. Entsprechend warnt Wirtschaftsminister Wolfgang Clement seit Wochen vor einer Hartz-Hysterie: "Die Schreckensgemälde über den Zugriff auf Kindersparbücher sind ebenso falsch wie die vom angeblichen Umzug in Plattenbauten."